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Wir blicken dankbar auf fünfunddreißig Jahre gelebte Waldorfpädagogik in unserem Kindergarten! Aus diesem Anlass möchten wir Sie zu zwei Vorträgen einladen: Frau Bettina Tailliere, Fachärztin für Anthroposophische Medizin, wird einen Vortrag zu den „Die Wärmehüllen des Kindes, wie geschieht Bindung, Ichentwicklung, Immunkompetenz?“ mit vielen praktischen Bezügen am 11. Mai um 20.00 Uhr im Kindergarten halten. Nach den Sommerferien, am 12. Oktober, folgt dann ein weiterer Vortrag, der noch Überraschung ist. Der Waldorfkindergarten ist eine richtig große Einrichtung geworden. Wir haben in den letzten fünf Jahren eine neue Geschäftsführerin und Pädagogische Leiterin, nachdem wir Anne Welsen nach über drei Jahrzehnten letztes Jahr in den Ruhestand verabschiedet haben. Wir haben eine neue Gruppe als Waldgruppe mit eigenem Platz und Wagen bekommen, unsere nunmehr drei Gruppen erfreuen sich reger Nachfrage, wir freuen uns über einige neue Gesichter bei unseren mittlerweile über zehn Mitarbeitern, nachdem die Erzieherinnen lange Jahre ein weitgehend konstantes Team waren. Wir haben nach wie vor ein Haus, das wir unser Eigentum nennen dürfen. Wir haben jetzt gerade den Eindruck, dass unsere Gemeinschaft von einem guten Geist begleitet wird, wir stehen auf „starken Füßen“, wir empfinden uns als gute große Gemeinschaft, die mit offenen Sinnen ihre Kräfte für die Kinder einsetzt. Dieser Geist muss bereits bei der Gründung vor 35 Jahren zugegen gewesen sein – Hannelore Kanka, eine der Gründerinnen des Kindergartens, hat sich anlässlich des Jubiläums für uns erinnert. Wir danken ihr herzlichst für die lesenswerten Reminiszenzen! Ihr Bericht soll stellvertretend für die darauf folgenden Jahre stetiger Entwicklung des Kindergartens die Klammer vom Beginn zum Jahr 2017 bilden. Viel Spaß beim Lesen! Erinnerungen an die Zeit der Waldorfkindergartengründung Eigentlich wollte Frau Gudrun Stein Anfang der 70er Jahre in Müllheim eine Waldorfschule gründen. Sie selbst war Lehrerin an der hiesigen Hauswirtschaftsschule und Anthroposophin. Zu einem ersten Informationsabend kamen etwa 120 interessierte Eltern. Zur gleichen Zeit aber gab es in Freiburg die Initiative zur Gründung der zweiten Waldorfschule. Die Waldorfschulvereinigung in Stuttgart, die jede Gründung begleitet und unterstützt, gab den Müllheimer Gründungswilligen bald zu verstehen, dass sie die Freiburger Initiative für zukunftsfähiger halte und zwei Neugründungen innerhalb von 30 km Abstand nicht sehr sinnvoll seien. Mehrere Familien wollten die Idee der Waldorfpädagogik in Müllheim nicht fallen lassen und gründeten 1974 den „Waldorfkindergarten-Verein Markgräflerland e.V.“ mit dem Ziel, einen Waldorfkindergarten einzurichten. Die etwa 10 Persönlichkeiten, die von der Erstinitiative übriggeblieben waren, wollten sich intensiv mit der Waldorfpädagogik beschäftigen und trafen sich deshalb einmal pro Woche, um sich die pädagogischen Schriften Rudolf Steiners zu erarbeiten. Für diese grundlegende Arbeit konnte Frau Luise Giesin gewonnen werden, die langjährige Zweigleiterin des Anthroposophischen Zweiges Müllheim-Badenweiler. Nach und nach wurden die Kinder der Interessierten älter und wuchsen aus dem Kindergartenalter heraus. Dennoch arbeiteten die Eltern weiter mit dem Ziel, für andere Kinder einen Waldorfkindergarten aufzubauen. Ende der 70er Jahre kamen mehrere Kinder auf die Welt, die anscheinend eine solche Pädagogik wünschten und ihre Eltern unbewusst zur Mitarbeit drängten. Dieser Menschenkreis veranstaltete öffentliche Info-Abende, kleine Verkaufstage, an denen Waldorfspielzeug – zum Teil selbst hergestellt – bekanntgemacht und verkauft wurde, und organisierte Fachvorträge. Mehrmals im Laufe der Jahre war Jakob Streit als Vortragender hier in Müllheim. (Autor von „Puck der Zwerg“, „Tatatuck“ u.v.a.) Es waren nun einige Menschen beieinander, die sich stetig weiter intensiv die Waldorfpädagogik aneigneten und unbedingt einen Waldorfkindergarten für ihre Kinder wünschten. Schließlich gründeten diese Eltern ab Frühjahr 1979 als erste Vorstufe eine Spielgruppe, die einmal pro Woche am Nachmittag stattfand. Der Ablauf war: Freispielzeit, Wasserfarbenmalen, evtl. Spaziergang und Märchenerzählung. Diese Gruppe traf sich in einem Zimmer der Familie Kanka, das extra dafür hergerichtet worden war. Hans Wälde hatte Holzspielständer und viele Holzklötze dafür gefertigt, es gab gestrickte Tiere und Puppen, Tücher, Zapfen, Kerne und Malbretter und Farben. Alte gebrauchte Kindergartenstühlchen und Tischchen bekamen wir vom Kindergarten Zienken geschenkt und holten sie vom dortigen Speicher ab. Dorothea Kaldenbach, Waldorfschülerin und ausgebildete Kindergärtnerin, leitete diese Nachmittage, zu denen regelmäßig sieben, acht Kinder kamen. Doch es war von Anfang an klar, dass Frau Kaldenbach nur bis zum Sommer 1979 zur Verfügung stand. Der Vorsitzende des Vereins, Manfred Zimber, nahm Kontakt auf zu Frau Ingeborg Haller in Freiburg, die Regionalbetreuerin der Waldorfkindergärten Südbadens. Frau Haller konnte Anne Welsen für diese Aufgabe begeistern. Anne Welsen war ausgebildete Waldorfkindergärtnerin, arbeitete aber damals nicht in ihrem Beruf, da sie ihre Tochter betreute. Anne übernahm ab Herbst ‘79 die Spielgruppe. Erfreulicherweise kamen immer mehr Kinder dazu und es mussten neue Räume gesucht werden. Die Spielgruppe konnte nach Badenweiler-Sehringen zu Familie Liebisch umziehen, wo sie bis zur Gründung des Kindergartens im Frühjahr 1982 bleiben konnte. Da Anne Welsen 1980 noch eine Tochter bekam, übernahm die Kindergärtnerin Marlies Zähringer die Spielgruppe. Öffentlichkeitsarbeit lag uns sehr am Herzen. Die Idee zu einer praktischen Möglichkeit dafür hatte Gerd Helmers, der inzwischen mit Imke ins Markgräflerland gezogen war. Wir fertigten Handpuppen an und malten mit Gerds Hilfe schöne Kulissen, um das Märchen „Schneeweißchen und Rosenrot“ aufzuführen. Es wurde ein sehr großer Erfolg, denn es kamen mehr Besucher, als wir zu hoffen gewagt hatten und wir mussten sehr viele zusätzliche Stühle im evangelischen Gemeindehaus aufstellen. Die Kinder sahen mit großer Aufmerksamkeit und mit offenem Munde zu. Im Anschluss daran hatten wir Verkaufsstände eingerichtet mit „Waldorfspielzeug“, welches wir von einem Spezialgeschäft uns hatten zuschicken lassen. Es gab damals selbst in Freiburg keinen Spielzeugladen mit qualitativ hochwertigen Produkten. Da wir an diesem Tag viel verkaufen konnten, beschlossen wir, im nächsten Jahr einen Basar zu organisieren mit selbsterzeugten Spielwaren und Kaffeestube, Weihnachtsschmuck und Spielzimmer für die Kinder. Das war der Beginn des Waldorfkindergartenbasars in Müllheim, immer am Totensonntag. Er wurde sehr bald zu einer Einrichtung, die von der Bevölkerung gerne angenommen wurde, ja regelrecht erwartet wurde. Doch wie war der Schritt von der Spielgruppe einmal pro Woche zum täglichen Kindergarten zu schaffen? Wo gibt es geeignete Räumlichkeiten? Woher das Geld nehmen zur Einrichtung und evtl. nötigen Umbauarbeiten? Wird ein Kindergarten mit diesem Konzept von der Gemeinde Müllheim gewünscht und unterstützt? Gibt es auch in Zukunft immer genügend Kinder dafür? Das waren große Fragen und Unsicherheiten über lange Zeit hinweg. Und unsere Kinder wurden älter und wollten diesen bestimmten Kindergarten. Also die Zeit drängte! Dann halfen uns wohl die guten Geister. Wir bekamen einen zuteilungsreifen Bausparvertrag von 80 TDM geschenkt, den wir in den kommenden Jahren „nur“ noch weiter aufzufüllen hatten. Etwa gleichzeitig erschien bei einem unserer wöchentlichen Leseabenden ein älterer Herr: Fred Zimmermann. Er war früher Geschäftsführer an der Waldorfschule in Tübingen und zuletzt an einer der Waldorfschulen in Hamburg. Nun war er im Ruhestand mit seiner Frau nach Kandern gezogen, suchte nach einer sinnvollen Beschäftigung und hatte von unseren Bemühungen gehört. Er machte uns Mut, unterstützte uns mit seinen wirtschaftlichen Erfahrungen und vor allem mit seinem vorwärtsstrebenden Temperament. Wir Erwachsenen waren nun voll gefordert: Weiterhin gab es den Lesekreis, um aus den Quellen der Anthroposophie zu schöpfen, dann viele, viele abendliche Treffen, um die zahlreichen nun anstehenden Aufgaben zu organisieren. Und natürlich gab es auch immer wieder riesige zwischenmenschliche Konflikte, gibt es doch die zögerlichen, abwartenden Menschen und die vorwärtseilenden. Aber das Ziel, einen Waldorfkindergarten aufzubauen, vereinte uns immer wieder. Um an Geld zu kommen veranstalteten wir mit Lothar Welsens Hilfe viele verschiedene Benefizkonzerte mit unterschiedlichen Besetzungen und es gab öffentliche Vorträge zur Waldorfpädagogik allgemein. Die Organisation für diese Veranstaltungen musste geleistet werden: Plakate gestalten und drucken lassen und in Müllheim und Umgebung aufhängen, Vorankündigungen schreiben für die Presse und möglichst auch Nachbesprechungen für die Zeitung, Räumlichkeiten suchen, Stühle stellen usw. Das alles wurde von etwa 20 Menschen geleistet. Dazu kam jetzt die Vorarbeit für den Waldorfkindergarten im Konkreten. Es gab Gespräche mit verschiedenen Gemeinderatsmitgliedern und mit dem damaligen Bürgermeister Hans Peter Sänger. Durch Familie Welsen gab es zu ihm einen guten Kontakt. Ein Antrag an den Gemeinderat zur Führung eines Waldorfkindergartens und zu dessen finanzieller Unterstützung wurde gestellt und auch mehrheitlich befürwortet. Wir schwebten auf Wolke sieben! Gleichzeitig waren wir auf intensiver Suche nach Räumlichkeiten. Verschiedene Objekte wurden angeschaut und wieder verworfen. Schließlich wurden wir im Gällelegässle / Hebelstraße in Müllheim fündig, einem Anwesen zwischen Farben-Busch und der damaligen Sparkassenfiliale. Dieses Haus gehörte Familie Faulstich, die früher im 1. Obergeschoss gewohnt hatte. Im Erdgeschoss war die Faulstichsche Schreinerei untergebracht. Herr Faulstich hatte eine Umschulung zum Waldorflehrer gemacht und arbeitete inzwischen an einer Berliner Waldorfschule als Werklehrer. Von ihm konnten wir das ganze Anwesen mieten samt Garten zur Hebelstraße hin und großem Holzschopf. Der nächste Glücksfall war der Architekt Herr Helmut Wälde, selbst Waldorfschüler, der uns seine Arbeit kostenlos zur Verfügung stellte. Er erarbeitete die Umbaupläne und reichte sie bei den verschiedenen Behörden ein. Wir hatten noch genug mit anderen Ämtern zu tun. Das Landeswohlfahrtsamt und das Gesundheitsamt begutachten einen neuen Kindergarten und natürlich auch die Internationale Vereinigung der Waldorfkindergärten in Stuttgart. Weiterhin erhielten wir große Unterstützung durch den Müllheimer Bürgermeister. Viele Telefonate waren nötig, viel Schriftverkehr und zahlreiche Gespräche. Jetzt war es an der Zeit, eine Baugruppe zu organisieren. Auch da hatten wir wieder großes Glück. Der Bauingenieur Christian Söhmisch, dessen Tochter zwar inzwischen schon ein Schulkind war, setzte sich mit ganzer Kraft für uns ein mit seinem Fachwissen und auch ganz praktisch mit Schaufel und anderem Handwerkszeug. In den Herbstferien 1981 begann das Auskernen der Schreinerwerkstatt, dann Betonieren des Fußbodens, das Errichten neuer Mauern, sanitäre Anlagen, Kücheneinrichtung, Holzverkleidungen, Fenstererneuerungen, Deckenkonstruktionen (Höhlenbau), Malerarbeiten usw. Das zog sich hin über die Wochenenden, dann in den kalten Weihnachtsferien und in Januar und Februar hinein. Zwischenzeitlich organisierten wir noch den Adventsbasar im Rohbau, damit die Bevölkerung auch einmal sehen konnte, was geleistet wurde, und auch einen Verkaufsstand an den zwei Tagen am Müllheim Jahrmarkt, weil wir ja auch viel Geld brauchten. Das bedeutete vorher viel stricken, nähen, backen und Holzarbeiten herstellen, damit wir auch etwas zum Verkauf anbieten konnten. Bei den Bauarbeiten beteiligten sich viele Menschen intensiv, schöne Holzregale, ein großes Schaukelpferd und andere Holzspielsachen wurden uns freundlicherweise gefertigt. Die Frauen nähten Spieltücher, Vorhänge und Puppen, strickten Spieltiere und verköstigten die „Bauarbeiter“. Inzwischen wurde uns eine Kindergärtnerin in Aussicht gestellt, die sich bei Anne Welsen vorstellte: Eva Habicht. Sie war ausgebildete Waldorfkindergärtnerin und hatte auch schon in Freiburg als Vertretungskraft erste Berufserfahrungen sammeln können und suchte nun einen dauerhaften Arbeitsplatz. Ihr Mann arbeitete ebenfalls in Freiburg. Wir konnten den beiden über dem Kindergarten die Wohnung anbieten, in die sie im Laufe des Winters eingezogen sind. So konnten sie bei der Ausgestaltung des Kindergartens mithelfen. Während der Ausbau weiterging, zwischendurch sehr schleppend, da alle Beteiligten an ihre Grenzen gestoßen waren, nahm Eva Habicht ihr Aufgaben auf, indem sie die zukünftigen Kindergartenkinder besuchte und Elterngespräche führte. Zum 1. März 1982 sollte der Kindergarten eröffnet werden. Doch da starb Eva Habichts Schwiegermutter. Eva und ihr Mann mussten erst einmal für ein paar Tage verreisen. Doch am 6. März war es dann wirklich soweit. Am Vorabend gab es eine feierliche interne Einweihung in den neu hergerichteten Räumen. Fred Zimmermann hatte sich sehr bemüht und konnte als Redner den Autor Johannes Hemleben gewinnen. Eine öffentliche Einweihungsfeier fand später im Kleinen Saal des Bürgerhauses Müllheim statt, mit Musik und verschiedenen Reden vor geladenen Gästen. Mit einer kleinen Gruppe von Kindern begann nun mit Eva Habicht als Kindergärtnerin und Claudia Herbig als Vorpraktikantin das Leben im Waldorfkindergarten Markgräflerland. Acht Jahre lang hatten sich zahlreiche Menschen darum bemüht, die Waldorfpädagogik in Müllheim und Umgebung ins Leben zu führen. Von allem war viel gegeben worden: Ideen, Zeit, Geld, Kräfte, handwerkliches Können auf verschiedensten Gebieten, künstlerische, organisatorische und soziale Fähigkeiten. Sehr viel bekamen wir zurück: Freundschaften fürs Leben, Zugang zur Anthroposophie, Freude bei der Arbeit zum Ziel hin und vor allem Kinder, die in einer kindgerechten Umgebung und mit menschgemäßer Erziehung aufwachsen konnten und können. – Hannelore Kanka, Mitgründerin des Waldorfkindergartens Markgräflerland Müllheim, den 26.2.2017 |